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Guter Rat ist teuer. Und macht verdächtig?

Dem Volksmund werden einige mehr oder minder kluge Überzeugungen zugeschrieben. So jene, dass guter Rat teuer sei. Darin mag die Erfahrung zum Ausdruck gebracht werden, dass hilfreicher Rat nur selten zu erlangen ist. Dabei hält der Volksmund solcherlei Ratschläge selbst vorrätig. Wie den, wonach das Schweigen dem Reden grundsätzlich vorzuziehen sei: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“ Macht sich in den Augen unserer Justiz verdächtig, wer derlei Rat erteilt? Jedenfalls, wenn es nach der Ansicht eines Ermittlungsrichters aus Schleswig-Holstein ginge, sollte der Volksmund künftig lieber schweigen. 

Die Geschichte, die Anlass zu solchen Betrachtungen gibt, ist schnell erzählt: Eine der Filialen eines Einzelhändlers war überfallen worden. Ausgerechnet V, bei dem es sich um einen der Auszubildenden in der Filiale handelte, geriet ins Visier der Ermittler. Gegen ihn richtete sich als bald der Verdacht, an dem Raubüberfall beteiligt gewesen zu sein. So fiel die Entscheidung, die Wohnung des V zu durchsuchen.  Gefunden wurde nichts. Jedenfalls nichts, was den gegen V bestehenden Verdacht erhärtet hätte. Denn V blieb auf freiem Fuß. Von der Durchsuchung bei V hatte dessen Chef erfahren; der Filialleiter. Nennen wir ihn F. Ihn rührte wohl das Schicksal seines Auszubildenden. Deshalb rief er V an. In dem Telefonat riet er seinem Auszubildenden, gegenüber der Polizei besser keine Angaben zu machen. Ein Ratschlag, der den V zwar nichts gekostet haben wird, aber dennoch wertvoll gewesen sein mag. Also im Sinne des Volksmunds teuer war. Für die Polizei, die vom Inhalt des zwischen Filialleiter und Auszubildenden geführten Ferngesprächs erfahren hatte, war der Rat schlicht verdächtig.

Und so sah es auch der zuständige Staatsanwalt, der sogleich beim Ermittlungsrichter den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses beantragte. Diesmal allerdings gegen den Filialleiter als Beschuldigten. Gegen diesen bestehe zumindest der Anfangsverdacht an dem Raubüberfall auf seine Filiale beteiligt gewesen zu sein. Denn immerhin hatte er einer anderen von der Polizei als verdächtig eingeschätzten Person – dem V – den Rat erteilt, bei der Polizei besser keine Angaben zu machen. Dass er dem V damit nicht mehr empfohlen hatte, als von seinem Recht Gebrauch zu machen, dass dem V als Beschuldigten gesetzlich zustand, beeindruckte auch den Ermittlungsrichter nicht weiter. Auch in seinen Augen hatte sich F allein dadurch des Verdachts ausgesetzt, mit dem Beschuldigten V unter einer Decke zu stecken, indem er ihm geraten hatte, von seinem Recht zu schweigen Gebrauch zu machen. Und so ordnete der Ermittlungsrichter aus Schleswig-Holstein die Durchsuchung der Wohnung des F an, die dann auch prompt durchgeführt wurde.

Es bedurfte wieder einmal der Anrufens höherer Instanzen, um Ermittlern, Richtern und Vollstreckern Examenswissen ins Gedächtnis zu rufen. Mindestvoraussetzung für eine Durchsuchung nach § 102 StPO ist, dass ein Beschuldigter betroffen ist. Beschuldigter in einem Strafverfahren kann nur eine Person sein, gegen die sich zumindest ein Anfangsverdacht richtet. Das Gesetz spricht von zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten. Als zureichend sind nur solche Anhaltspunkte zu behandeln, die von einer gewissen Wahrscheinlichkeit der Tatbeteiligung ausgehen lassen. Umstände und Tatsachen, die sich in verschiedene Richtungen deuten lassen, sprechen gerade nicht für eine solche Wahrscheinlichkeit. So der Ratschlag, gegenüber der Polizei keine Angaben zu machen. Für eine solche Empfehlung kann es viele, ganz unterschiedliche Gründe geben. Und deshalb können aus einem solchen Verhalten auch nur vage Vermutungen hergeleitet werden; aber eben keine für einen Anfangsverdacht zureichenden Anhaltspunkte. Das Landgericht Kiel musste das dem Ermittlungsrichter erklären. Bedauerlicherweise erst nachdem die rechtswidrige Wohnungsdurchsuchung bereits durchgeführt worden war.

AG Eilenburg nimmt Bundesverfassungsgericht beim Wort

… und stellt Verfahren gegen Temposünder ein. Dabei war die Geschwindigkeitsmessung in dem durch das Gericht zu verhandelnden Fall gar nicht mit dem Verkehrskontrollsystem (VKS) erfolgt, welches das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu einer spektakulären Entscheidung im August des vergangenen Jahres veranlasste. Stattdessen war es der Einsatz eines Geschwindigkeitsmessgeräts des Typs ESO ES 1, welches den Amtsrichter an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens zweifeln ließ.

Das auf Lichtschranken basierende Geschwindigkeitsmessgerät wird von der in Tettnang ansässigen Firma ESO GmbH hergestellt. In seiner Funktionsweise erblickt das AG Eilenburg bedeutsame Übereinstimmungen mit dem VKS, dessen Einsatz das BVerfG für verfassungswidrig erklärt hat, weil damit gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verstoßen wird. Denn letztlich würden auch mit dem ESO ES 1.0 verdachtsunabhängige Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt, indem zum Zwecke der Identitätsfeststellung Lichtbilder hergestellt werden. Zwar soll die Fotoaufnahme erst ausgelöst werden, wenn das Gerät eine Geschwindigkeitsüberschreitung als Ergebnis einer Weg-Zeit-Messung festgestellt habe. Danach trifft dann aber das Gerät „die Entscheidung“, ob die Fotoauslösung erfolgt oder nicht. Ein technisches Gerät kann aber keinen Verdacht hegen.

Verdacht im Sinne von Argwohn bedeutet, Übles von jemandem zu denken. Denken aber sollte der Messbeamte, dessen Tätigkeit sich aber während des Messbetriebes in aller Regel darauf beschränkt, den Messbetrieb zu überwachen. Entscheidungen, die von einem von ihm entwickelten Verdacht abhängen, trifft er nicht.

Die Entscheidung des Richters am Amtsgericht Eilenburg ist jedenfalls konsequent. Ob sich seine Rechtsansicht auf Dauer durchsetzen wird, bleibt fraglich.