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Fortbildung in Unfallflucht?

Für den auch auf dem Gebiet des Verkehrsrechts tätigen Strafverteidiger ist die so genannte Unfallflucht ein sehr weites Betätigungsfeld, auf dem der nicht spezialisierte Rechtsanwalt schnell mal den Überblick verliert; häufig mit äußerst schwerwiegenden Folgen für den Mandanten. Also ein absolut spannendes Thema zur Erfüllung der Fortbildungspflicht eines Fachanwalts für Verkehrsrecht und Strafrecht. Gute Nachricht für meine Mandanten: Ich habe mich ja so gelangweilt!

„Verteidigung bei Unfallflucht“ hat der Deutsche AnwaltVerein die Fortbildungsveranstaltung genannt, zu der ich mich gestern wieder einmal in einem der Konferenzsäle eines Berliner Hotels in der Nähe der Gedächtniskirche eingefunden habe. Als ich den Tagungsort einige Stunden später verließ, hielt ich eine Bescheinigung über die Teilnahme an der Fortbildungsveranstaltung „Vereidigung bei Unfallflucht“ in den Händen. Bin ich es auch? Fortgebildet?

Auf der Suche nach der Antwort auf diese Frage blättere ich die Seminarunterlagen noch einmal durch: Definition des Tatbestandsmerkmals Unfall im Sinne des § 142 StGB als plötzliches Ereignis im öffentlichen Straßenverkehr, das mit dessen Gefahren in einem ursächlichen Zusammenhang steht und einen nicht bloß unerheblichen Personen- oder Sachschaden zur Folge hat. Klar, bekannt. Und natürlich auch die Auslegung der Rechtsprechung zu den einzelnen Merkmalen. Das Unfallgeschehen als solches muss Bezug zum Verkehr haben usw. Klar, auch bekannt. Ebenso wie die Entscheidung des OLG Köln aus dem Jahr 2011 zum „straßenverkehrsspezifischen Gefahrenzusammenhang“; kenne ich natürlich auch. Der Einkaufswagenfall des OLG Düsseldorf aus dem selben Jahr. Über das Urteil habe ich schon damals einen Artikel geschrieben. Und dann natürlich die Diskussion in Rechtsprechung und Lehre zu der Frage, ob der Irrtum darüber, ob es zu einem Unfall gekommen ist, als Tatbestandsirrtum (§ 16 StGB) oder als Verbotsirrtum (§ 17 StGB) zu behandeln ist; mit ganz unterschiedlichen Rechtsfolgen übrigens. Auch das Problem ist mir bekannt. Ebenso wie die in diesem Zusammenhang unbedingt zu berücksichtigende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur verfassungsgemäßen Auslegung des § 142 StGB. Und natürlich der bedeutende Unterschied zwischen „Entfernen“ und „nicht zurückkehren“. Habe ich unter dem Titel „Wo geht’s denn hier zum Unfallort?“ schon im Jahre 2008 drüber geschrieben. Anlass dazu bot ebenfalls eine Entscheidung des OLG Düsseldorf.

Das Risiko der (vorläufigen) Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 (§ 111a ) StGB, wenn der Fremdschaden „bedeutend“ ist; die Wertgrenze für den bedeutenden Fremdschaden. Und welche Schadenspositionen bei der Bewertung zu berücksichtigen sind. Auch das alles nichts Neues, sondern tägliche Routine für mich. Ebenso wie der Umgang mit Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechten, wenn der Halter eines Kraftfahrzeugs zur Identität des verantwortlichen Fahrzeugführers von der Polizei vernommen werden soll (§ 52ff StPO). Habe ich jeden Tag mit zu tun. Wie führt man eine Abhilfeentscheidung herbei, wenn ein 111a-Beschluss ergangen ist? Wie eine Beschwerdeentscheidung? Und wofür sollte sich mein Mandant entscheiden? Check, check, check!

Und nicht zu vergessen die Verbindungen zum Versicherungsrecht. Die Obliegenheiten gegenüber dem Kraft-Haftpflichtversicherer (§ 28 VVG), die Folgen der Verletzung dieser Obliegenheiten (§§ 5f KfzPflVV) und wie mit diesem Risiko bei der Verteidigung umzugehen ist. Damit beschäftige ich mich Tag für Tag. Alles nichts Neues.

Gab es also gestern eine FORTbildung für mich? Nein, wirklich nicht. Trotzdem bin ich zufrieden. Ich lasse mich doch lieber von einer Fortbildungsveranstaltung langweilen, als zu erleben, dass mich die Aufgaben, vor die mich die Fälle meiner Mandanten stellen, in Unruhe versetzen.

Landgericht Dortmund covert Freddy Quinn Klassiker

Wer sich als Unfallbeteiligter vom Unfallort unerlaubt entfernt, muss mit der Entziehung der Fahrerlaubnis rechnen. Die sogenannte Regelentziehung erfolgt nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB. Aber auch diese Regel hat ihre Ausnahmen.

Die Entscheidung, sich den Feststellungen zur Unfallbeteiligung zu entziehen und vom Unfallort zu fliehen, wird häufig in wenigen Sekunden getroffen. Der Straftatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort ist schnell erfüllt. Schon eine geringe Absetzbewegung kann genügen, wenn sie in einen Bereich führt, wo Unfallbeteiligte nicht mehr ohne weiteres erwartet werden. Ist ein solcher räumlicher Abstand erreicht, hat sich der Flüchtende bereits strafbar gemacht. Um die Entziehung der Fahrerlaubnis trotz eines bedeutenden Unfallschadens zu vermeiden, sollten durch den Verteidiger alle zugunsten seines Mandanten zu wertenden Umstände vorgetragen werden.

Solche Umstände können, wie eine Entscheidung des Landgerichts Dortmund in der Berufungsinstanz zeigt, sogar im Alter des Angeklagten liegen. Das Lebensalter des doch erst 57 Jahre alten Angeklagten ordnete die Kammer als fortgeschritten ein und würdigte angesichts dessen seine Unbescholtenheit als besondere Lebensleistung. Zudem stellten sich schon bald nach dem Unfall Gewissensbisse beim Angeklagten ein, und er stellte sich bei der Polizei. Beide Umstände ließen das Landgericht Dortmund trotz Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen von einer Entziehung der Fahrerlaubnis absehen. In Abwandlung des 1963 an einen Jungen appellierenden Schlagers, die Heimkehr anzutreten, heißt es nach der dargestellten Entscheidung des Landgerichts Dortmund wohl künftig: „Alter, komm bald wieder und bleib nicht so lange fort!“

 

Fahrerflucht nach Verkehrsunfall mit dem Einkaufswagen?

Soll vorkommen; und dann auch als unerlaubtes Entfernen vom Unfallort strafbar sein. Das meint jedenfalls das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf in einer seiner jüngeren Entscheidungen. Wie kommt man auf so etwas, wenn man bei der Anwendung des Gesetzes dessen Wortlaut zur Verfügung hat? Indem man ihn dehnt und zieht und weitet, bis es passt.

„Ein Unfallbeteiligter, der sich nach einem Unfall im Straßenverkehr vom Unfallort entfernt, bevor er (…) zugunsten der anderen Unfallbeteiligten und der Geschädigten die Feststellung seiner Person, seines Fahrzeugs und der Art seiner Beteiligung durch seine Anwesenheit und durch die Angabe, dass er an dem Unfall beteiligt ist, ermöglicht hat (…), wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ So jedenfalls hat es der Gesetzgeber in § 142 Abs. 1 StGB formuliert. Dass man nicht unbedingt ein Fahrzeug geführt haben muss, um als Täter einer so genannten Unallflucht in Frage zu kommen, ergibt sich schon daraus, dass das Gesetz dem Unfallbeteiligten eine Pflicht auferlegt. Und das kann auch ein Fussgänger sein. Aber doch wohl „im Straßenverkehr“! Oder hat sich der Gesetzgeber auch den Kunden eines Supermarktes vorgestellt, der seinen Einkaufswagen über den Kundenparkplatz schiebt und dabei gegen ein parkendes Fahrzeug stößt.

Nach Ansicht des OLG Düsseldorf handelt es sich bei dem beschriebenem Geschehen um einen Unfall im Straßenverkehr. Denn auch auf der Straße gibt es den so genannten „ruhenden Verkehr“. Die auf einem Kundenparkplatz geparkten Fahrzeuge seien demselben Risiko ausgesetzt wie jene im ruhenden Verkehr. Und mit dem Wegrollen eines Einkaufswagens realisiere sich eine für das abgeparkte Fahrzeug ganz typische Gefahrensituation. Deshalb begeht nach Überzeugung der Oberrichter ein strafbares unerlaubtes Entfernen vom Unfallort nach einem Unfall im Straßenverkehr, wer sich beim Einkaufen nicht fair verhält. Und das kann dann auch schon mal die Fahrerlaubnis kosten. Kommt nur auf die Höhe des Schadens an.

Keine Strafe ohne Gesetz! Ein rechtstaatlicher Grundsatz mit Verfassungsrang. Nachzulesen in Art. 103 Abs. 2 GG und § 1 StGB. Wäre auch mal wieder die Lektüre wert; sogar für OLG-Richter.