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Aus der Traum

Die Nachrichten, die uns im letzten Jahr aus Kaiserslautern erreichten, klangen viel versprechend. Wenn die genaue Funktionsweise eines Geschwindigkeitsmessgerätes nicht bekannt ist, sollen die damit erzielten Messergebnisse gerichtlich nicht zu verwerten sein.

So hatte es das Amtsgericht Kaiserlautern am 14.3.12 entschieden und einen Betroffenen vom Vorwurf einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit freigesprochen. Ganz unverhohlen hatte das Amtsgericht in den Urteilsgründen seinem Unmut darüber Luft gemacht, dass sich der Hersteller ESO des Einseitensensors ES 3.0 bislang weigert, den Ablauf der Messung zu offenbaren. Dadurch sei das Gericht daran gehindert, das Messergebnis und letztendlich den Vorwurf als solchen zu prüfen.

Nun hat das Oberlandesgericht (OLG) Zweibrücken auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hin das den Betroffenen freisprechende Urteil aufgehoben. Völlig ausreichend sei, dass das Prinzip der Messung bekannt ist. Zudem ist das Gerät durch die Physikalisch Technische Bundesanstalt (PTB) zur Eichung zugelassen, und von den Obergerichten als sogenanntes standardisiertes Messverfahren allgemein anerkannt. Zweifel an der Zuverlässigkeit müssten daher schon anhand konkreter Anhaltspunkte formuliert werden. Allein die mangelnde Kenntnis der genauen Funktionsweise reiche nicht aus. Die sei den Gerichten ja auch sonst – etwa bei kriminaltechnischen oder rechtsmedizinischen Verfahren –  nicht bekannt.

Wer sich gegen den Vorwurf einer Geschwindigkeitsüberschreitung sachgerecht verteidigen will, wird also auch künftig nicht darum herumkommen, einen auf dem Gebiet des Verkehrsrechts und des Strafrechts spezialisierten Fachanwalt zu beauftragen. Denn die Suche nach konkreten Anhaltspunkten für eine fehlerhafte Messung erfordert einen fachlich geschulten Blick beim Umgang mit dem Inhalt der Ermittlungsakte.

Das waren doch keine 150m?!

Stimmt, es waren lediglich 98m, die zwischen dem Radargerät und dem die Geschwindigkeitsbeschränkung aufhebenden Verkehrszeichen lagen. Der Abstand hätte aber mindestens 150m betragen müssen. So sehen es die in den Bundesländern geltenden Verkehrsüberwachungserlasse vor. Nur in begründeten Ausnahmefällen dürfen die eine Geschwindigkeitsmessung durchführenden Polizeibeamte diesen Mindestabstand unterschreiten.

Ein Ausnahmefall liegt beispielsweise vor, wenn die Strecke, auf der eine Geschwindigkeitsbeschränkung durch Verkehrszeichen angeordnet ist, weniger als 300m misst, und schon deshalb die Einhaltung der für die Geschwindigkeitsmessung im Straßenverkehr aufgestellten Regeln nicht zulässt. Ein Richter, der wegen einer Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße verhängt und womöglich ein Fahrverbot anordnet, obwohl die Messbeamten besagte Regel verletzt haben, muss sich in seinem Urteil mit der Frage auseinandersetzen, ob ein begründeter Ausnahmefall vorlag.

Fehlt es im amtsgerichtlichen Urteil an Ausführungen dazu – vielleicht, weil das Gericht das Problem schlicht übersehen hat – ist das Urteil fehlerhaft und muss aufgehoben werden. So erst wieder jüngst durch das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart geschehen.

Amtsgericht Güstrow

Die im Frühjahr vergangenen Jahres von meinem Mandanten auf der A19 gefahrene Geschwindigkeit war mit einem Lasermessgerät aus dem Hause VITRONIC, dem berüchtigten Poliscan speed, gemessen worden. Wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit hatte die Ordnungsbehörde einen Bußgeldbescheid erlassen. Gegen den schon deshalb Einspruch eingelegt werden musste, weil das Punktekonto meines Mandanten zum Zeitpunkt des Erlasses des Bußgeldbescheides keine weitere Belastung vertagen hätte. Die Einsichtnahme in die Ermittlungsakte der Ordnungsbehörde ergab einen interessanten Hinweis  für die Verteidigung.

Auf dem sogenannten Tatfoto war nicht nur der PKW meines Mandanten abgebildet. Im rechten Fahrstreifen neben ihm befand sich zum Zeitpunkt der Messung – oder genauer gesagt: zum Zeitpunkt der Auslösung der Kamera – ein weiteres Fahrzeug. Nun wird das Poliscan speed von der Polizei und natürlich auch dem  Hersteller unter anderem deshalb in höchsten Tönen gepriesen, weil es angeblich auch verlässliche Messergebnisse liefere, wenn sich weitere Fahrzeuge im Messbereich befinden würden. In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist das Messverfahren inzwischen als sogenanntes standardisiertes Messverfahren anerkannt.

Es bedarf deshalb schon eines erheblichen argumentativen Bemühens, um einen Amtsrichter in so einer Bußgeldangelegenheit dazu zu bewegen, die Sache doch noch einmal überdenken. Gestern in Güstrow ist es mir wieder einmal gelungen. Immerhin war das Gericht schließlich bereit, die Geldbuße auf die Hälfte herab zu setzen. Der Punktestand meines Mandanten in Flensburg hatte sich im  Laufe des Verfahrens bereits ebenfalls reduziert. Die Lage hat sich also wieder entspannt und die Fahrerlaubnis ist nicht mehr in Gefahr.

 

Legal – illegal – Sch*** egal!

So haben das die Richter des ersten Strafsenats des Oberlandesgerichts Hamm selbstverständlich nicht gemeint. Und selbst wenn sie es so gemeint hätten, würden sie es doch nicht so vulgär ausdrücken. Hochdotierte Ober-Richter können das besser: Zwar handelt es sich bei der nicht anlassbezogenen Dauervideoüberwachung sämtlicher sich im fließenden Verkehr befindlicher Verkehrsteilnehmer um einen systematischen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung der überwachten Personen, der in Ermangelung einer gesetzmäßigen Eingriffsbefugnis verfassungswidrig ist; der Verwertung der durch die rechtswidrigen staatlichen Maßnahmen gewonnenen Erkenntnisse  steht dennoch nichts im Wege.

Alles klar? Nein? Na dann noch mal ganz langsam: Das Verkehrskontrollsystem VKS 3.0 erfasst alle sich im Fließverkehr befindlichen Verkehrsteilnehmer. Ganz unabhängig davon, ob sie gerade eine Verkehrsordnungswidrigkeit – zum Beispiel eine Geschwindigkeitsüberschreitung –  begehen oder sich hundertprozentig an die Verkehrsregeln halten. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht auch festgestellt, dass diese Art der Beweisgewinnung bzw. -erhebung rechtswidrig ist.

Nun sollte man annehmen, dass Beweismittel, die überhaupt erst durch einen Verstoß gegen Verfassungsrecht erlangt werden konnten, von einem an eben dieses Recht gebundenen Gericht nicht verwertet werden dürfen. In den Vereinigten Staaten ist das auch so. In Deutschland aber nicht. Denn im Zeitpunkt der Messung, um die es in der Entscheidung des OLG Hamm ging, habe es die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum besagten Verkehrskontrollsystem noch nicht gegeben. Und deshalb habe die überwachende Verkehrsbehörde nicht wissen können, dass ihr Verhalten gegen die Verfassung verstößt. Also hat sie nicht willkürlich gehandelt. Und deshalb dürfen die Ergebnisse ihres rechtswidrigen Handelns verwendet werden, auch vor Gericht.

Wenn also der Rauschgifthändler nicht weiß, dass das Handeltreiben mit Heroin verboten ist, weil es ihm noch keiner gesagt hat, dann darf er den Gewinn aus seinen illegalen Geschäften behalten? Dummer Vergleich! Das ist doch jetzt  unsachliche Polemik! Die gehört hier nicht her. Schluss damit!

AG Eilenburg nimmt Bundesverfassungsgericht beim Wort

… und stellt Verfahren gegen Temposünder ein. Dabei war die Geschwindigkeitsmessung in dem durch das Gericht zu verhandelnden Fall gar nicht mit dem Verkehrskontrollsystem (VKS) erfolgt, welches das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu einer spektakulären Entscheidung im August des vergangenen Jahres veranlasste. Stattdessen war es der Einsatz eines Geschwindigkeitsmessgeräts des Typs ESO ES 1, welches den Amtsrichter an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens zweifeln ließ.

Das auf Lichtschranken basierende Geschwindigkeitsmessgerät wird von der in Tettnang ansässigen Firma ESO GmbH hergestellt. In seiner Funktionsweise erblickt das AG Eilenburg bedeutsame Übereinstimmungen mit dem VKS, dessen Einsatz das BVerfG für verfassungswidrig erklärt hat, weil damit gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verstoßen wird. Denn letztlich würden auch mit dem ESO ES 1.0 verdachtsunabhängige Ermittlungsmaßnahmen durchgeführt, indem zum Zwecke der Identitätsfeststellung Lichtbilder hergestellt werden. Zwar soll die Fotoaufnahme erst ausgelöst werden, wenn das Gerät eine Geschwindigkeitsüberschreitung als Ergebnis einer Weg-Zeit-Messung festgestellt habe. Danach trifft dann aber das Gerät „die Entscheidung“, ob die Fotoauslösung erfolgt oder nicht. Ein technisches Gerät kann aber keinen Verdacht hegen.

Verdacht im Sinne von Argwohn bedeutet, Übles von jemandem zu denken. Denken aber sollte der Messbeamte, dessen Tätigkeit sich aber während des Messbetriebes in aller Regel darauf beschränkt, den Messbetrieb zu überwachen. Entscheidungen, die von einem von ihm entwickelten Verdacht abhängen, trifft er nicht.

Die Entscheidung des Richters am Amtsgericht Eilenburg ist jedenfalls konsequent. Ob sich seine Rechtsansicht auf Dauer durchsetzen wird, bleibt fraglich.