Strafjustiz erwacht aus Dornröschenschlaf …

im Jahr 2020! Wenn alles so läuft, wie es sich das Bundesministerium für Justiz derzeit vorstellt. Von dort wurde noch im vergangenen Jahr ein Referentenentwurf für ein Gesetz zur Etablierung der vollständigen elektronischen Aktenführung vorgelegt.

Wenn die Pläne Realität werden sollten, hätte 82 Jahre nach Konrad Zuses erstem Rechner das elektronische Zeitalter die Strafjustiz erreicht. Dann gäbe es sie endlich – die elektronische Akte in Strafsachen.

Ein denkwürdiges Ereignis, welches allerdings an den Mandanten meiner Kanzlei vorbeiziehen wird, ohne Begeisterungsstürme zu entfachen. Denn meine Mandanten profitieren von den Vorzügen einer elektronischen Aktenführung bereits seit zehn Jahren. Der Startschuss für die Digitalisierung der in meiner Kanzlei geführten Handakten fiel im Jahre 2003.

Inzwischen steht jedem meiner Auftraggeber die für ihn geführte Handakte zur jederzeitigen Einsichtnahme zur Verfügung. Dass für diesen Service meine Kanzlei von je her als Umbruchstelle zwischen den von der Justiz traditionell verwendeten Papierformaten und elektronischen Dateiformaten fungieren musste, habe ich stets klaglos hingenommen. Aber soll das Bundesjustizministerium nun doch nicht so tun, als bilde es die Avantgarde der elektronischen Dienstleister. Dafür kommt das geplante Konstrukt viel zu ungelenk daher.

Zugelassen wird nur deutsche Schriftsprache; vermutlich weil in Strafsachen eine Auslandberühung nicht recht vorstellbar ist? Multimediaformate werden nicht zugelassen; vielleicht weil im Bundesministerium nicht mal geahnt wird, wie häufig mittlerweile elektronische Überwachungsmaßnahmen durch Ermittlungsbehörden eingesetzt werden und zu Ermittlungsergebnissen in Gestalt elektronischer Daten führen?

Und wie stellen sich die Damen und Herren Ministerialbeamten eigentlich die Handhabung in der Untersuchungshaft vor? Ohne Zugang zu einem PC geschweige denn zu einem Browser? Oder sollen sich in Untersuchungshaft befindliche Beschuldigte ab 2020 nicht mehr verteidigen dürfen; jedenfalls nicht, indem sie sich mit dem Inhalt der Ermittlungsakte auseinandersetzen? Böse Vorahnungen kommen da auf: BER, Stuttgart21, Strafjustiz20?