Fehlurteile

„Es hilft nichts, das Recht auf seiner Seite zu haben. Man muss auch mit der Justiz rechnen.“ Mit dieser lakonischen Feststellung hat der Kabarettist Dieter Hildebrandt schon vor vielen Jahren der zur Volksweisheit gewordenen Erkenntnis, dass es nicht ausreicht, im Recht zu sein, man müsse es auch bekommen, eine weitere Formulierung  hinzugefügt. Dabei konnte er, als er sein Misstrauen gegenüber den Leistungen der Justiz so zum Ausdruck brachte, die ungezählten Fehlurteile, die die Strafjustiz in der Folgezeit in Sachen „Fühererschein“ landauf landab noch zustande bringen sollte, gar nicht kennen. Gemeint sind die zahlreichen Strafverfahren, an deren Ende die Inhaber von EU-Fahrerlaubnissen wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu Geld- oder gar Freiheitsstrafen verurteilt wurden, obwohl sie unschuldig waren.

Es sind dies Fälle, die gemeinhin unter dem Begriff „Führerscheintourismus“ kolportiert werden. Um mehr Sachlichkeit bemüht lässt sich der besagten Fällen zugrunde liegende Sachverhalt wie folgt skizzieren: Einem deutschen Fahrerlaubnisinhaber wird die ihm in der Bundesrepublik erteilte Fahrerlaubnis aus Anlass einer Verkehrsstraftat entzogen. Im Strafurteil wird eine Sperrfrist von einigen Monaten oder auch Jahren festgesetzt, innerhalb derer die Fahrerlaubnisbehörde keine neue Fahrerlaubnis erteilen darf. Der so Verurteilte erwirbt in der Folgezeit einen in einem anderen EU-Mitgliedsstaat ausgestellten Führerschein und wird damit in der Bundesrepublik anlässlich einer Verkehrskontrolle als Führer eines Kraftfahrzeugs festgestellt. Es folgt der Vorwurf, ohne gültige Fahrerlaubnis gefahren zu sein, die Einleitung eines Strafverfahrens, Schuldspruch, Geld- oder Freiheitsstrafe. Und das in einer sehr großen Anzahl von Fällen zu unrecht.

Denn es gilt der Grundsatz, dass die EU-Mitgliedsstaaten die von Ihnen erteilten Fahrerlaubnisse gegenseitig anerkennen müssen. So sagt es Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006. Einfacher auch nur 3. Führerscheinrichtlinie genannt. Sie sollte eigentlich den schon seit Jahren ausgefochtenen Streit über den Umfang der Anerkennungspflicht beenden. Zu diesem Zweck wurden gegenüber ihrem Vorläufer, der aus dem Jahre 1991 stammenden 2. Führerscheinrichtlinie, einige Formulierungen geändert. Doch deutsche Behörden und Gerichte ließen sich dadurch in ihrem Widerwillen gegen die Anerkennung ausländischer Führerscheine kaum beeindrucken. Der seit den neunziger Jahren geführte Streit wurde fortgesetzt. Bisweilen bis zum Europäischen Gerichtshof (EuGH).

Benannt nach den Namen der Beschwerdeführer trugen die seit 2004 ergangenen Entscheidungen des EuGH Bezeichnungen wie „Kapper“, „Halbritter“ und „Scheffler“. Der Name, den sich die deutschen Behörden und Gerichte fortan werden merken müssen,  lautet „Hofmann“. Mit seinem in dieser Sache am 26. April dieses Jahres ergangenen Urteil hat der EuGH nun zum wiederholten Male deutsche Fahrerlaubnisbehörden sowie Verwaltungs- und Strafgerichten an die Verpflichtung erinnert, die Gültigkeit des einer in einem Mitgliedsstaat ausgestellten Fahrerlaubnis anzuerkennen, solange zwei Mindestvoraussetzungen als erfüllt gelten:

1. Als der EU-Führerschein beantragt oder ausgestellt wurde, darf in der Bundesrepublik keine Sperrfrist gelaufen sein.

2. Die Fahrerlaubnis darf nicht unter Verletzung des Wohnsitzprinzips erteilt worden sein.

Das Wohnsitzprinzip ist ein weites Feld, dem ein eigener Artikel gewidmet werden sollte. Also Grund genug für eine weitere Fortsetzung dieser Never-Ending-Story.